Vergangenheit


„Möge die evangelisch-reformierte Gemeinde, die mit dem 1. Juli in Hameln ins Dasein getreten ist, nicht wieder untergehen, wie dies mit der alten Gemeinde geschah. Das walte Gott!

Mit diesen Schlussworten des damals amtierenden Hilfs-predigers unserer Gemeinde, Heinrich Ibeling, endete am
30. Juni 1901 die große Gründungsfeier der reformierten Gemeinde in Hameln.

Fünf Jahre später, am 20. März 1906 wurde die Kirche der Reformierten Gemeinde Hameln in der Hugenottenstraße festlich eingeweiht.
Seit damals versammelt sich die Evangelisch-reformierte Kirchengemeinde hier zum Gottesdienst.

Das 100-jährige Jubiläum im Jahr 2006 ließ die Geschichte der Gemeinde lebendig werden.

„100 Jahre Evangelisch-reformierte Kirche Hameln in der Hugenottenstraße" - dankbar blicken wir zurück auf bewegte und bewegende Geschichte dieser Gemeinde:
Auf die mühsamen Anfänge zu Beginn des 20. Jahrhunderts,
auf die Zeit des Dritten Reiches, als die Reformierte Gemeinde Hameln ein wichtiges Glied der Bekennenden Kirche in Deutschland war mit ihrem mutigen Bekenntnis "allein zu Jesus Christus",
auf einhundert Jahre, in denen in der Gemeinde nur drei Pastoren tätig waren.

(Pastor Martin Hoffmann,
anlässlich des 100-jährigen Jubiläums im Jahr 2006)

Ihre Wurzeln aber reichen mehr als 300 Jahre zurück: in die Zeit, in der Glaubensflüchtlinge aus Frankreich in Hameln eine Hugenottengemeinde gründeten und einen Tempel" bauten.

Verfolgung der Hugenotten in Frankreich im 17. Jahrhundert


Mit der Aufhebung des Ediktes von Nantes (1598) im Jahr 1685 durch König Ludwig XIV., welches den Anhängern des französischen Reformators Johannes Calvin (1509-1564) knapp 100 Jahre Religionsfreiheit zugesichert hatte, war das Leben für die Hugenotten in Frankreich durch Drangsalierungen und Verfolgung unerträglich geworden.

Gedenkstein in Aigues-Mortes, nahe dem "Tour de Constance", der an die Leiden der Hugenotten erinnert. Marie Dunand war hier wegen ihres Glaubens seit ihrem 18.Lebensjahr für 38 Jahre inhaftiert, bevor sie 1768 freigelassen wurde.

Wer einmal das „Musée du Désert" besucht hat oder den „Tour de Constance", das ehemalige Frauen-gefängnis in Aigues-Mortes, der bekommt eine Ahnung davon, wie viel an Leidensgeschichte die Hugenotten auf sich nahmen, um ihrer Glaubensüberzeugung treu zu bleiben: Folter und Tod, die Willkür der berüchtigten Dragonaden, das furchtbare Schicksal auf den Galeeren sowie den Verlust der schönen Heimat in der Provence und in den Cevennen.

Um die 200000 reformierte Franzosen hatten nach 1685 Frankreich verlassen, von denen ca. 44000 sogenannte Refugies Aufnahme in den prote-stantischen Territorien Deutschlands fanden, davon wiederum ca. 1500 im heutigen Niedersachsen.

Die Anfänge Reformierten Glaubens in Hameln


Auch in Hameln reichen die geistlichen Wurzeln reformierter Tradition bis in das 17. Jahrhundert zurück, denn im März 1690 kamen auch hier dreihundert reformierte Glaubensflüchtlinge an.

Wegen des durch den 30-jährigen Krieg und eine Feuersbrunst 1684 erfolgten Bevölkerungsrückganges und die handwerklichen Fertigkeiten der Hugenotten, besonders in Stoff und Leder verarbeitenden Berufen, hatte Landesfürst Herzog Ernst August von Braunschweig (1629-1698) Interesse an der Aufnahme der Flüchtlinge. So konnten sie hier in Hameln eine Gemeinde gründen und erhielten gar von Herzog Ernst August weitreichende verbriefte Privilegien.

Die Hamelner Hugenottengemeinschaft zählte um das Jahr 1700 mit etwa 500 Personen zu den mittelgroßen französischen Kolonien in Deutschland.

Einige Jahre lang feierte die hugenottische Gemeinschaft als Gast in der Heilig-Geist-Kapelle (heute Stadtsparkasse) ihre Gottesdienste, bevor ihr im November 1699 nach zweijähriger Bauzeit die neu erbaute Kirche und das Pfarrhaus nahe dem Mühlentor (Ecke Bäckerstraße/Ostertorwall) übergeben wurde. Diese waren auf Veranlassung des Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover errichtet worden.
Wie die Lutheraner durften sie „mit öffentlichem Glocken-Geläute ihre Gemeinde zusammen rufen“ zu ihren Gottesdiensten und diese „nach Art und Gebrauch der Französisch-Reformierten Kirchen“ „frey“ und „ungehindert“ abhalten.

Ein großer Tag für die Hugenottengemeinschaft !

Hamelner Stadtansicht um 1740, in der Bildmitte die Huge-nottenkirche mit dem barocken Dachreiter (1827 entfernt)

Sie war eine durch das gemeinsame Glaubensbekenntnis und die calvinistische Kirchenordnung, eine durch besondere Glau-bensstärke und persönlich Vertrautheit gefestigte Gruppe.
Die Hugenotten errichteten in vielen verwaisten Straßen der heutigen Hamelner Altstadt mit hohem Arbeitseinsatz und finanzieller Hilfe des Landesherren neue Wohnhäuser, ihre Läden und Handwerksbetriebe. Hier lebten und arbeiteten sie. Der Wirtschaftsstandort Hameln wurde, wie es in den kurfürstlichen Akten heißt, "gewinnbringend für den Fiskus".

Dennoch waren sie Fremde. Alles war aus Sicht der Hamelner „anders" an den Hugenotten: ihre Religion, ihre Sprache, ihr Temperament, ihre Art, sich zu kleiden, ihre Essgewohnheiten. Das heimische Handwerk sah neidvoll die Befreiung der Hugenotten von Abgaben und vom Zunftzwang und damit deren Möglichkeiten zu höherer Produktivität und Beweglichkeit beim Handel. Die Kolonieprivilegien sorgten dafür, dass die Hugenottengemeinschaft als eine „Stadt in der Stadt" erlebt wurde. Dies alles verursachte Spannungen!

Natürlich gab es im Alltag auch mehr und mehr Kontakte zwischen Einheimischen und den Hugenotten, es kam im Einzelnen auch zu Heiraten zwischen ihnen.
Die hugenottischen Familien hüteten streng ihre französische Identität. Vor allem in der familiären und innergemeindlichen Bewahrung ihrer Sprache wurde das deutlich. Das war verstärkt der Fall, als die Hugenottenkolonie spätestens um 1740 in die Krise geriet, die ihren schleichenden Niedergang einleitete.

Niedergang der damaligen Hugenottengemeinschaft


Die Privilegien waren abgeschafft worden und die Hugenotten waren verwaltungsmäßig, rechtlich und wirtschaftlich in den Bürgerverband eingegliedert.
Die Gemeinschaft verlor durch Abwanderung, Heirat in andere Kolonien, und hohe Sterblichkeit bei wenigen Geburten mehr und mehr Mitglieder. Deren Zahl sank auf 360 im Jahr 1730, 160 im Jahr 1750 und schließlich auf etwa 30 im Jahr 1817.

Abendmahlskelch der Hamelner Hugenotten-gemeinde, den die Flüchtlinge mitsamt dreier Kirchenbücher aus Frankreich mitgebracht hatten

Das Recht zur freien Religionsausübung, also ungehindert der Lehre des Reformators Calvin folgen zu können, blieb der Gemeinde aber erhalten. Wie in Frankreich lag die Verwaltung des Gemeindelebens in den Händen des von der Gemeinde bestimmten Presbyteriums. Es war vor allem zuständig für die Wahl des Pfarrers, die Wahrung der Gottesdienstformen und die Pflege des Psalmengesangs.

Um 1725 gab es in Hameln bereits auch etwa 200 reformierte Deutsche. Sie nahmen als Gäste an Gottesdiensten und Abendmahl der Hugenotten teil. Auch Taufen, Trauungen und Beerdigungen durch deren Pfarrer wurden ihnen gewährt.
Da sie aber kein Wahlrecht hatten und eine religiöse Unterweisung, schon wegen der sprachlichen Barrieren, für sie nicht stattfand, strebten sie die Gründung einer eigenen Gemeinde an.
Hierzu sollte es aber wegen des Einspruchs sowohl der Hugenottengemeinde, als auch der Lutheraner nie kommen.
Durch die Einstellung eines zweiten, die deutsche Sprache beherrschenden, Pfarrers 1755 verbesserte sich die Situation zwar geringfügig, aber es kam nie zu einem gleichberechtigten Miteinander der französischen und deutschen Reformierten in einer Gemeinde.

Während der Napoleonischen Besatzungszeit musste die Gemeinde ihre Kirche räumen, da diese als Magazin genutzt wurde.

1815, nach Ende der Napoleonischen Kriege, bemühten sich die Refor-mierten durch Einstellung eines Pfarrers und Rückerhalt von Kirche und Pfarrhaus um die Wiederbelebung des Gemeindele-bens. Beides aber wurde wegen der inzwischen noch weiter zurückgegangenen Zahl der französischen Reformierten abgelehnt.

Kirche und Pfarrhaus, sowie deren Inventar wurden durch die landesherrliche Regierung der Stadt Hameln überlassen. Die Kirche wurde im Lauf der Zeit als Lager, Turnhalle und Suppenküche zweckentfremdet - und schließlich 1973 abgerissen.

Obwohl die wenigen Hugenottennachfahren eine zeitlang noch von einem hannoverschen Pfarrer betreut wurden, verlor sich das reformierte Kirchen- und Gemeindeleben mehr und mehr.
Der Großteil der Reformierten schloss sich der lutherischen Kirche in Hameln an.

Der letzte Eintrag in den Hugenottischen Kirchenbüchern der damaligen Gemeinde datiert aus dem Jahr 1853.

 

 

 

(Quelle: 100 Jahre Evangelisch-reformierte Kirche Hameln in der Hugenottenstraße", S. 20-31, Elke Herrenbrück,
Herausgeber: Die Ev.-ref. Gemeinde Hameln - Bad Pyrmont, März 2006